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Wiederkehr plastisch erlebbarer Kunst
Ausstellung Wolfgang Bous und Kalle Paltzer zeigen in der Mülheimer Kirche St Clemens ihre Bildobjekte
VON JÜRGEN KISTERS

Mülheim.
In Zeiten digitaler Bilderfluten erwarten viele Menschen bei Bildern eine flache Erscheinungs-form. Die Displays mobiler Telefone, Computermonitore und Fernsehbildschirme haben nicht nur die materiale Dimension von Bildern in den Hintergrund gedrängt. Sie haben auch nahezu vergessen lassen, dass Bilder für lange Zeit immer auch eine plastische Dimension besaßen. Sei es über die Schlieren satt gemalter Farbe auf Gemälden. Oder über die Knicke und Abschabungen auf einer Fotografie, die oft in die Hand genommen wurde. Besonders deutlich ist der Objektcharakter von Bildern christlicher Ikonenmalerei, die seit dem Mittelalter das Bildverständnis der abendländischen Kultur maßgeblich prägte.

In dieser Tradition stehen die malerischen Bildobjekte der Künstler Wolfgang Bous und Kalle Paltzer, derzeit ausgestellt in der katholischen Kirche St. Clemens. Nicht nur, weil sie in einem Gotteshaus präsentiert werden und darüber die Verbindung zur Kirchenkunst unvermeidlich wird, sondern weil sie den Unterschied zwischen sinnlicher und geistiger Kraft von Malerei verschwimmen lassen. Dabei sind die Werke von Bous und Paltzer so abstrakt und bedeutungsoffen, dass keine direkte inhaltliche Beziehung zur christlichen Motivwelt besteht.
Wolfgang Bous, geboren 1958, begann mit abstrakter Leinwandmalerei, bevor er die Ausdrucksmöglichkeit der dritten Dimension für sich entdeckte: Anstatt viele Farbflächen übereinander zu malen, kam er auf die Idee, Objekte aus Holzstücken zu bauen.
So entwickelt er zunächst eine abstrakte Konstruktion aus gegeneinander und ineinander versetzen Holzstücken, bevor er sich daran macht, diese flächig mit kräftigen Farben zu bemalen. Die plastische Holzkonstruktion gibt der Farbe eine Struktur vor. Gleichzeitig schaffen die weich aufgetragenen Farben Rhythmisierungen und einen Zusammenklang, der sich je nach Standort vor dem Objekt verändert. Wie verhält sich das Blau zum Gelb? Welche Wirkung erzielen verschiedene Grüntöne und ein Stück unbemaltes Holz? „Man sieht nie alle Farben zugleich", sagt Bous. Erst der wahrnehmende Körper aus der Perspektive seines Standorts und seine wechselnden Bewegungen schaffen das Bild. „Es gibt keine Frontalansicht", erklärt er. Das Bild zeigt somit keinen fertigen Zustand, sondern verkörpert einen Prozess. Diese allmähliche Erschließung der Bilder steht der Schnelligkeit eines Bilderlebnisses gegenüber, wie es von den modernen Medien seit geraumer Zeit vorangetrieben wird.
Auch die malerischen Reliefs von Kalle Paltzer werden nur Betrachter zu schätzen wissen, die sich für ein Bild Zeit lassen können. Die miteinander verklebten Papierschichten zeigen wellige Oberflächen mit feinen schwarzweißen Farbnuancen. Erinnerungen an Landschaften treffen auf die Idee von Verhüllung - das Gefühl von Anfassbarkeit auf das der Zerbrech-lichkeit. Den Kleber für die verschiedenen Seiden- und Reispapiere stellt er aus alten Re-
zepturen selbst her.
Der 1960 in Bitburg geborene Künstler fand über die Bildnerei mit Keramik und verschiedene
Formen der Zeichnung. Illustration und grafischen Gestaltung zu dieser Art der bildlichen Objektkunst. Auf der einen Seite steht die Poesie des Materials, auf der anderen der Zauber von Schwebezuständen und Leichtigkeit. Es gibt kein Motiv, sondern lediglich die Präsenz vieler feiner, geheimnisvoller Spuren, die zum Staunen und Meditieren verführen.
Genau das ist der große Unterschied der Bildobjekte beider Künstler zur traditionellen Ikonenmalerei: Sie haben die Magie des Bildes von jeder Form der Erzählung oder Botschaft entkoppelt. Darin kann man den modernen Sinnverlust der Kunst erkennen. Aber auch eine neue Offenheit, die jedem Menschen eine große Freiheit im Bilderleben ermöglicht.
So ist die Ausstellung in der alten Kirche am Mülheimer Rheinufer eine gute Möglichkeit, um über Formen des traditiondien und des gegenwärtigen Kunst- und Bildverständnissen nachzudenken.

Kirche St. Clemens, Mülheimer Ufer 3, Sa/So von 14 bis 17 Uhr, bis Sonntag, 4. August.
www.clemens-mauritius.de
besser: www.sankclemens.eu

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