QUER
DURCH KÖLN
Donnerstag, 1. August 2013
KÖLNER STADT ANZEIGER
Wiederkehr
plastisch erlebbarer Kunst
Ausstellung Wolfgang Bous und Kalle Paltzer zeigen in der
Mülheimer Kirche St Clemens ihre Bildobjekte
VON JÜRGEN KISTERS
Mülheim.
In Zeiten digitaler Bilderfluten erwarten viele Menschen bei Bildern
eine flache Erscheinungs-form. Die Displays mobiler Telefone,
Computermonitore und Fernsehbildschirme haben nicht nur die materiale
Dimension von Bildern in den Hintergrund gedrängt. Sie haben
auch nahezu vergessen lassen, dass Bilder für lange Zeit immer
auch eine plastische Dimension besaßen. Sei es über
die Schlieren satt gemalter Farbe auf Gemälden. Oder
über die Knicke und Abschabungen auf einer Fotografie, die oft
in die Hand genommen wurde. Besonders deutlich ist der Objektcharakter
von Bildern christlicher Ikonenmalerei, die seit dem Mittelalter das
Bildverständnis der abendländischen Kultur
maßgeblich prägte.
In dieser Tradition stehen die malerischen Bildobjekte der
Künstler Wolfgang Bous und Kalle Paltzer, derzeit ausgestellt
in der katholischen Kirche St. Clemens. Nicht nur, weil sie in einem
Gotteshaus präsentiert werden und darüber die
Verbindung zur Kirchenkunst unvermeidlich wird, sondern weil sie den
Unterschied zwischen sinnlicher und geistiger Kraft von Malerei
verschwimmen lassen. Dabei sind die Werke von Bous und Paltzer so
abstrakt und bedeutungsoffen, dass keine direkte inhaltliche Beziehung
zur christlichen Motivwelt besteht.
Wolfgang Bous, geboren 1958, begann mit abstrakter Leinwandmalerei,
bevor er die Ausdrucksmöglichkeit der dritten Dimension
für sich entdeckte: Anstatt viele Farbflächen
übereinander zu malen, kam er auf die Idee, Objekte aus
Holzstücken zu bauen.
So entwickelt er zunächst eine abstrakte Konstruktion aus
gegeneinander und ineinander versetzen Holzstücken, bevor er
sich daran macht, diese flächig mit kräftigen Farben
zu bemalen. Die plastische Holzkonstruktion gibt der Farbe eine
Struktur vor. Gleichzeitig schaffen die weich aufgetragenen Farben
Rhythmisierungen und einen Zusammenklang, der sich je nach Standort vor
dem Objekt verändert. Wie verhält sich das Blau zum
Gelb? Welche Wirkung erzielen verschiedene Grüntöne
und ein Stück unbemaltes Holz? „Man sieht nie alle
Farben zugleich", sagt Bous. Erst der wahrnehmende Körper aus
der Perspektive seines Standorts und seine wechselnden Bewegungen
schaffen das Bild. „Es gibt keine Frontalansicht",
erklärt er. Das Bild zeigt somit keinen fertigen Zustand,
sondern verkörpert einen Prozess. Diese allmähliche
Erschließung der Bilder steht der Schnelligkeit eines
Bilderlebnisses gegenüber, wie es von den modernen Medien seit
geraumer Zeit vorangetrieben wird.
Auch die malerischen Reliefs von Kalle Paltzer werden nur Betrachter zu
schätzen wissen, die sich für ein Bild Zeit lassen
können. Die miteinander verklebten Papierschichten zeigen
wellige Oberflächen mit feinen schwarzweißen
Farbnuancen. Erinnerungen an Landschaften treffen auf die Idee von
Verhüllung - das Gefühl von Anfassbarkeit auf das der
Zerbrech-lichkeit. Den Kleber für die verschiedenen Seiden-
und Reispapiere stellt er aus alten Re-
zepturen selbst her.
Der 1960 in Bitburg geborene Künstler fand über die
Bildnerei mit Keramik und verschiedene
Formen der Zeichnung. Illustration und grafischen Gestaltung zu dieser
Art der bildlichen Objektkunst. Auf der einen Seite steht die Poesie
des Materials, auf der anderen der Zauber von Schwebezuständen
und Leichtigkeit. Es gibt kein Motiv, sondern lediglich die
Präsenz vieler feiner, geheimnisvoller Spuren, die zum Staunen
und Meditieren verführen.
Genau das ist der große Unterschied der Bildobjekte beider
Künstler zur traditionellen Ikonenmalerei: Sie haben die Magie
des Bildes von jeder Form der Erzählung oder Botschaft
entkoppelt. Darin kann man den modernen Sinnverlust der Kunst erkennen.
Aber auch eine neue Offenheit, die jedem Menschen eine große
Freiheit im Bilderleben ermöglicht.
So ist die Ausstellung in der alten Kirche am Mülheimer
Rheinufer eine gute Möglichkeit, um über Formen des
traditiondien und des gegenwärtigen Kunst- und
Bildverständnissen nachzudenken.
Kirche St. Clemens, Mülheimer Ufer 3, Sa/So von 14 bis 17 Uhr,
bis Sonntag, 4. August.
www.clemens-mauritius.de
besser: www.sankclemens.eu
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